Nach mittlerweile weit über einem Jahr...
...wir sind im April 2024... ...möchte ich nun langsam mal was schreiben. Wie also geht es mir ohne Tankstellen und im neuen Job? Die erste Frage ist einfach zu beantworten: Einfach nur gut. Ich hätte nie gedacht, wieviel Druck seinerzeit "auf dem Kessel" war. Dass es einiges war, habe ich ja geahnt. Aber wieviel entspannter das Leben heute ist (wobei auch die neue Tätigkeit nicht ohne ist), das hätte ich nicht gedacht. So richtig fehlt mir der Vergleich. Am ehesten passt wohl der Vergleich des Umstiegs von einem Sportwagen auf ein Fahrzeug der Mittelklasse. Die Nutzung des Fahrzeugs ist individuell immer noch anstrengend, das "neue Auto" fährt sich aber eben ruhiger, alles ist ein wenig übersichtlicher und stressreduzierter. Wann immer ich heute über Dinge aus der Tätigkeit der Vergangenheit höre, bin ich froh, dieses Berufsfeld verlassen zu haben. Der aktuelle Irrsinn der IT und die gelebte Unfähigkeit der steuernden Akteure sind offenbar unbeschreiblich und noch deutlich jenseits meinen seinerzeit vermuteten Einschätzungen. Dazu kommt, dass eigentlich geschätzte Kollegen sich im Einzelfall (es ist wohl wirklich nur einer) als Egozentriker und reiner Selbstfürsorger heraus stellten. Aber gut, das ist Geschichte. "Meine" ehemalige Marke habe ich, zumindest zum Tanken nicht mehr angefahren. Die gefundene Ersatzmarke (unter der Adresse hatte ich seinerzeit meine erste Tankstelle als Neubau übernommen) ist preiswert und gut erreichbar. Leider hat die unter der heutigen Marke tätige Erstbetreibung auch schon wieder aufgehört, Gerüchten zu Folge war die Tankstelle alles in allem wohl doch schwieriger wie erwartet. Aber nun... Die Tätigkeit als Lebenshelfer, ist sie wie erwartet? Ehrlich gesagt nein. Also im Grunde schon. Was ich aber nie erwartet hätte, ist der enorme Bedarf an allem abseits des Tätigkeitsfeldes "Haushaltshilfe". Ich durfte und darf mittlerweile unterstützen bei allem, was im weitesten Sinne mit dem normalen Wahnsinn des Alltags zu tun hat. Ob es Unterstützung bei der Findung neuer Räume für den letzten Lebensabschnitt ist, der Verkauf einer Immobilie, der wöchentlich Einkauf von Lebensmitteln und der "spontane" Kauf eines Autos, die Begleitung zu Ärzten und in Kliniken, Begleitung von Onlineaktivitäten, Familienfeiern und Begleitung zu weiter entfernt lebenden Kindern und Enkeln. Oder auch einfach nur "da sein" zum reden, zu diskutieren, zu beraten und um Gesellschaft zu leisten, Mittlerweile habe ich intensiven Einblick in die "Funktionsweise" von Krankenkassen, medizinischem Dienst, Finanzämtern und diversen Unternehmen (Schmuckhändler, Comic-Aufkäufer, Trödelhändler, Gärtner, Sanitätshäuser, etc.) rund um die Bedürfnisse meiner Senioren bekommen. Und bemerke, wenig überraschend, dass Freundlichkeit und verständnisvolles Auftreten immer wieder extrem hilfreich ist. Spannend, bisweilen anstrengend, aber kein Vergleich zu früher. Häufig steht am Ende "größerer" Aktionen ein ehrliches "Danke, ohne sie hätten wir/hätte ich das nicht geschafft." Befriedigender geht es nicht, an solchen Abenden sitze ich überaus zufrieden Abends im Wohnzimmer. Vielleicht müde, aber in dem Bewußtsein, etwas sinnvolles getan zu haben. Es gibt tatsächlich auch trauriges zu berichten. In der relativ kurzen Zeit sind zwei "meiner" mir wichtigen alten Menschen verstorben. In beiden Fällen haben es die Betroffenen zwar "richtig" gemacht, traurig war und bin ich dennoch. Der ältere Mann starb in der Pflege, letzten Endes war es wohl vorhersehbar. Seine Frau begleite ich bis heute, sie wird, wenn es sich ergibt, in eine Senioreneinrichtung umziehen. Leider relativ weit weg, die Zeit der intensiveren Betreuung wird dann enden und zum größten Teil in die Hände der Familie gehen. Aber das ist genau richtig und auch gut so. Die alte Dame hat es tatsächlich auch absolut richtig hinbekommen. Ich durfte sie fast eineinhalb Jahre begleiten. Anfänglich war es Unterstützung im Haus und Haushalt, dann sie Suche nach einer neuen Wohnmöglichkeit, altersgerecht und mit mehr sozialen Kontakt. Diese Unterkunft wurde gefunden, sie hatte sich für eine Appartementlösung in einer Seniorenresidenz entschieden. Es folgten der Verkauf des Hauses und der Umzug in ein kleines Zimmer mit den Lieblingsmöbeln (die erst durch den Umzug wieder zu Ehren kamen). Sie sagte mir einmal, dass die Schränke in den letzten dreißig Jahren nur "rumstanden" und auf eine Verwendung warteten. Sie war einfach großartig. Beim ersten Kontakt hatte sie die neunzig schon überschritten, kam gerade aus dem Krankenhaus. Sie konnte wundervolle und weniger schöne Geschichten erzählen. Ihr phänomenales Gedächtnis ging zurück bis zu ihrem Großvater und dessen Übersiedlung nach Deutschland. Die Familiengeschichte konnte sie perfekt erzählen, inklusive Eltern, Schwiegereltern, Onkel und Tanten bis zu den letzten verbliebenen Verwandten, den Nichten und Neffen. Gleiches galt für die Geschichte des Ortes, in dem sie lebte. Sie selber hatte keine Kinder, aber trotzdem (oder gerade deswegen?) eine sehr enge Beziehung zu den eben genannten Nichten und Neffen. In der Residenz fand sie dann auch schnell Anschluß, so, wie ich es ihr gewünscht hatte. Lernte ich sie mit dem Rollator als täglichem Begleiter kennen, kam sie mir irgendwann in der Residenz nur noch mit dem Gehstock entgegen. Auch der war irgendwann verzichtbar, zumindest im Haus. Auf meine Frage, warum sie diese Hilfen nicht mehr in dem Maß brauche, antwortete sie sinngemäß: "Wissen sie, ich bin meine Sorgen los. Ich muss mich um nichts kümmern, bin mein Haus und die damit verbundenen Verpflichtungen los, habe hier Freunde gefunden (pers. Anmerkung: Mit denen der ein oder andere Glühwein, die ein oder andere Tasse Kaffee und sicher auch mal ein Glas Wasser getrunken wurde). Sie helfen mir bei den Dingen, die immer mal wieder anliegen. Es geht mir einfach gut..." Ich könnte noch einige Erlebnisse schreiben, vielleicht hebe ich mich das für einen weiteren Beitrag auf. Wenige Tage vor Ihrem 93ten Geburtstag verstarb sie. Um zehn Uhr telefonierte sie noch mit Ihrer Nichte wegen eines Besuchs am folgenden Tag. Gegen Mittag fand man sie, friedlich eingeschlafen, in ihrem Fernsehsessel. Ihr Wunsch, ohne Schmerzen und womöglich jahrelanger Pflege zu sterben, wurde ihr erfüllt. Sie war eine für mich außergewöhnliche Frau, die ihr Leben lang gearbeitet hat, alle ihre Menschen versorgt und viele bis in den Tod begleitet hat. Vergessen werde ich sie nie! Erstaunlich ist für mich immer wieder die Vielfalt der Aufgaben, die Intensität bei der Begleitung und die doch sehr unterschiedlich ausgeprägten, wechselseitigen Sympathien, die ich im Alltag erlebe. Es geht von den "normalen" Begleitungen, die zum Teil rein auf die Aufgabe abgestellt sind, zum Teil aber schon in den persönlichen Bereich reichen, über freundschaftliche Kontakte und Beziehungen bis hin zu den Menschen, denen ich auf besondere Weise zugeneigt bin. Letztere sind meist die, die eine bemerkens- und erwähnenswerte Lebensleistung ihr eigen nennen und dabei überaus nahbar, dankbar und menschlich geblieben sind. Diese Menschen sind meist über 90 Jahre alt und gehen vereinzelt stramm auf die Dreistelligkeit zu. So viel als erster Bericht, ich merke, dass ich noch viel mehr schreiben könnte. Werde ich auch tun, ich hoffe, es wird bis zu den nächsten Worten nicht so viel Zeit vergehen, wie es jetzt der Fall war.