Gedanken
Tankstellen und andere Merkwürdigkeiten
Da geht sie nun zu Ende, die Zeit auf und mit den Tankstellen. Fast 26 Jahre habe ich geschafft, davon gut 20 Jahre mit zwei Tankstellen.
Warum ich aufhöre bzw. aufgehört habe?
Dafür gibt es mehrere Gründe.
Der Wichtigste ist, das der aktuelle Vertrag für mich keinerlei positiven Aspekte mehr bereit stellt. Vom Begriff "Selbstständigkeit" bleibt, abgesehen von der Waschanlage, nichts mehr übrig.
Wenn ein selbstständiger Kaufmann nicht mehr entscheiden kann, welche Ware zu welchem Preis wann an welche Stelle in "seinem" Shop stehen darf, was hat das noch mit "selbstständig" zu tun?
Wenn der wirtschaftliche Erfolg (also der Gewinn) nicht mehr von eigenem Handeln sondern von Zuschüßen in enormer Höhe abhängt, was hat das noch mit "selbstständig" zu tun?
Wenn ein Unternehmen versucht, mit theoritischen Kenntnissen und schultheoritischen Ansätzen Einzelhändler zu sein, ohne jemals wirklich im Handel gestanden zu haben, wie wahrscheinlich ist dann ein Erfolg?
Wenn ein Gesetzgeber immer restriktivere Vorgaben macht, die für einen Kleinunternehmer kaum mehr zu erfüllen sind, wieviel Spass macht die Ausübung der Tätigkeit dann noch?
Wenn tagtäglich Verantwortung für das Handeln Dritter übernommen werden muss und man kaum Möglichkeiten der Disziplinierung mehr hat, welchen Sinn macht es, dann noch "Arbeitgeber" zu sein?
Es gibt so viele Aspekte, die die Aufgabe dieses Berufes (der sicher einmal "Berufung" war) erklären und rechtfertigen. Vielleicht schaffe ich es ab und an, mal ein wenig zu beschreiben, was passierte und warum das, was passiert, genau richtig scheint.
(Geschrieben Januar 2022)Vertrag und Shop
Nun mal etwas detailiierter:
Meine Berufsbezeichnung war "selbstständiger Kaufmann auf gepachteten Tankstellen". In der Vergangenheit war die "Selbstständigkeit" schon ab und an fragwürdig, wurde vom Vertragspartner doch sehr genau ausgesteuert, wieviel Gewinn realisierbar war.
Aber man ließ mich leben und ich hatte zumindest wenn es eng wurde, die Möglichkeit, Ware dort zu kaufen, wo sie preiswerter als bei meinem Vertragspartner (der ja auch mein Großhändler war) zu haben war.
Nach einigen bemerkenswerten Vorgängen Ende 2018/Anfang 2019 (damals stiegen z.B. die Einkaufspreise für Tabakprodukte ohne Ankündigung und verdeckt massiv an, versprochene Zahlungen blieben aus, die Gewinnplanung wurde nach unten angepaßt) machte ich davon Gebrauch und kaufte wesentliche Teile, insbesondere eben Tabak, bei einem lokalen Großhändler ein.
Am Ende des Jahres wurde mir bewußt, wieviel Geld ich insgesamt hatte liegenlassen. Enorme Summen über die Jahre. Aber man hatte mich ja auch leben lassen und kam, wenn auch immer wieder in letzter Sekunde und, Anfang 2020, erst nach massiven Interventionen (die, eigentlich lokal geplant, sich bald bundesweit ausdehnten), auch mit Zuschüßen daher, die den Gewinn wieder etwas erhöhten.
Sicher nicht in einen Bereich, bei dem ein selbstständiger Kaufmann z.B. im LEH wohlwollend genickt hätte, aber immerhin.
Mit dem neuen Vertrag, der mir im Frühjar 2021 vorgelegt wurde, sollte damit Schluss sein. Mein Geschäftspartner reklamierte mit diesem Vertrag, dass es nun das Shopgeschäft übernehmen wollen würde und ich für die Shopumsätze noch eine Provision bekommen sollte. Dafür sollte die Auswahl der Produkte, die Platzierung, der Preis und die Menge nun komplett in seiner Verantwortung liegen.
Mir würden dann nur noch ein Geschäftszweig, die Wäschen, bleiben, in dem ich Preise und Erträge selber hätte planen und realisieren können. Damit hätte ich irgendwas zwischen 10 und 15 Prozent, je nach Lage des Betriebes, noch selber steuern können.
Alle weiteren Erträge, also Provisionen aus den beiden anderen, umsatzstarken Bereichen, sollten damit bei meinem Geschäftspartner und damit seinen Fähig- und Möglichkeiten unterliegen. Zusammen hätten diese Bereiche wohl maximal die Hälte der Kosten und meines Gewinnes erwirtschaften können.
Der notwendige Rest, eine Zahl im für mich persönlich höheren sechstelligen Bereich, wäre unterjährig als ratierlich gezahlter Zuschuss monatlich angewiesen worden. Ob, wann und unter welchen Umständen diese Zahl hätte angepaßt werden sollen, war im Vertrag für mich nicht erkennbar definiert.
Ohne an dieser Stelle in Details zu gehen, hier war für mich eine Grenze erreicht, die ich nicht überschreiten wollte. Was in der letzten Konsequenz zur Kündigung meiner Verträge durch meinen Geschäftspartner führte.
Ich wundere mich bis heute, warum so viele Kollegen glauben, dass dieses Vorhaben in ein für alle Beteiligten positives Ergebnis führen kann. Ohne den Beteiligten in der Systemzentrale zu nahe treten zu wollen: Da versuchen (vermutlich junge und hoffentlich engagierte) Menschen, womöglich frisch aus dem Studium kommend, Einzelhandel zu spielen, ohne jemals verantwortlich und über längere Zeit in einem Einzelhandelsgeschäft mit Mitarbeiterverantwortung überlebt zu haben.
Es hat seinen Grund, warum Kaufleute erst nach einer fundierten Ausbildung (sei es durch Lehre oder das Leben initiiert) und nach Jahren der Praxiserfahrung ein solches Geschäft erfolgreich betreiben können.
Die reine Theorie eines Studiums der Wirtschaftswissenschaften oder ähnlicher Zweige reicht dafür sicher nicht. Und diesen Menschen lege ich mein Schicksal in die Hände? Mit allem, was da an Verantwortung und Verpflichtung für mich persönlich daran hängt? Mit der Macht des großen mütterlichen Geldgebers im Rücken, der für sein eingesetzes Kapital eine, vorsichtig formuliert, anspruchsvolle Verzinsung fordert?
Von daher war und ist meine Entscheidung die Richtige. Bei allen wirtschaftlichen Unsicher- und Unwägbarkeiten. Jetzt bin ich in erster Linie für mich verantwortlich und das ist auch gut so.
Es ist übrigens so gut wie unmöglich, alle Verstrickungen innerhalb des Gesamtkonstuktes zu überblicken. Zu sehr verwoben sind die einzelnen Aspekte im vertraglichen und tätigem Bereich, als dass man dies in wenigen Sätzen einem Menschen erklären kann, der lediglich den Blick von aussen hat.
Vielleicht, und da verstehe ich die Hoffnung meiner Exkollegen ab und an, führt aber genau das irgendwann zur Lösung. Entweder, in dem das Vorhaben als gescheitert erklärt wird (mit welchen Folgen dann auch immer) oder in dem es funktioniert.
Wenn ich letzeres Glauben würde, würde ich aber auch glauben, dass das berühmte Kamel durch das Nadelöhr passt. Und für diese Analogie bin ich dann doch etwas zu alt!
Neue Ausrichtung
Was aber mache ich heute?
Zunächst gönne ich mir, nach 26 Jahren, eine längere Zeit der Ruhe. Der letzte wirkliche Urlaub war 2018, seit dem gab es immer etwas, was eine längere Erholungsphase unmöglich machte.
Natürlich wäre es möglich gewesen, klar. Aber ich bin nun mal so gestrickt, dass ich meine Mitarbeiter bei den großen Dingen, die seit 2018 passierten, in der vertrackten Situation, keine, zu wenige oder nicht ausreichend motivierbare neue Kollegen zu finden, nicht alleine lasse. Vermutlich eines meiner größeren Probleme, das sich in den letzen Jahren wohl verstärkt hat.
Ein neues Gewerbe ist angemeldet. Etwas völlig anderes, von dem ich glaube, dass es, wenn es denn funktioniert, drei wesentliche Punkte erfüllt:
- In etwa zehn Jahren mit der Erwerbstätigkeit abzuschließen
- Ein notwendiges Einkommen zum leben und überleben in dieser Zeit zu erreichen
- und eine sinnstiftende Aufgabe ist
Ich werde also den Weg gehen, mich als Alltagsbegleiter und Lebenshelfer für Senioren zu engagieren und engagiert zu werden. Für mich eine tolle Geschichte, deren Ziel ich in wenigen Worten zusammenfassen kann:
Ich möchte dabei helfen, ältere Menschen so lange wie möglich dort leben zu lassen, wo sie zu Hause sind!
Auf meinem Auto finden sich seit einiger Zeit die Worte "Ich bin Ihr Haushälter, Begleiter, Sekretär und Freizeitpartner". Und genau so wünsche ich es mir tatsächlich: Meine Kentnisse einbringen, neues lernen, die Fähigkeit des "zuhören können" so einbringen, dass alle Beteiligten zufrieden sind.
Nebenbei nutze ich diese Punkte und meine praktische Erfahrung der letzten vierzig Jahre und biete Unternehmern und Selbstständigen, die Hilfe brauchen, diese in Form von Beratung an. Manchmal reicht schon der Blick von außen auf eine Situation, um die eigene Betrachtung zu ändern, aktiv zu werden und sein Schicksal (wieder) in die eigenen Hände zu nehmen.
Was dann, weitläufiger ausgelegt, für beide Bereiche, Senioren wie Selbstständige, gelten könnte.
Ich werde berichten, was sich entwickelt!
Nach über einem Jahr
Nach mittlerweile weit über einem Jahr...
...wir sind im April 2024... ...möchte ich nun langsam mal was schreiben. Wie also geht es mir ohne Tankstellen und im neuen Job? Die erste Frage ist einfach zu beantworten: Einfach nur gut. Ich hätte nie gedacht, wieviel Druck seinerzeit "auf dem Kessel" war. Dass es einiges war, habe ich ja geahnt. Aber wieviel entspannter das Leben heute ist (wobei auch die neue Tätigkeit nicht ohne ist), das hätte ich nicht gedacht. So richtig fehlt mir der Vergleich. Am ehesten passt wohl der Vergleich des Umstiegs von einem Sportwagen auf ein Fahrzeug der Mittelklasse. Die Nutzung des Fahrzeugs ist individuell immer noch anstrengend, das "neue Auto" fährt sich aber eben ruhiger, alles ist ein wenig übersichtlicher und stressreduzierter. Wann immer ich heute über Dinge aus der Tätigkeit der Vergangenheit höre, bin ich froh, dieses Berufsfeld verlassen zu haben. Der aktuelle Irrsinn der IT und die gelebte Unfähigkeit der steuernden Akteure sind offenbar unbeschreiblich und noch deutlich jenseits meinen seinerzeit vermuteten Einschätzungen. Dazu kommt, dass eigentlich geschätzte Kollegen sich im Einzelfall (es ist wohl wirklich nur einer) als Egozentriker und reiner Selbstfürsorger heraus stellten. Aber gut, das ist Geschichte. "Meine" ehemalige Marke habe ich, zumindest zum Tanken nicht mehr angefahren. Die gefundene Ersatzmarke (unter der Adresse hatte ich seinerzeit meine erste Tankstelle als Neubau übernommen) ist preiswert und gut erreichbar. Leider hat die unter der heutigen Marke tätige Erstbetreibung auch schon wieder aufgehört, Gerüchten zu Folge war die Tankstelle alles in allem wohl doch schwieriger wie erwartet. Aber nun... Die Tätigkeit als Lebenshelfer, ist sie wie erwartet? Ehrlich gesagt nein. Also im Grunde schon. Was ich aber nie erwartet hätte, ist der enorme Bedarf an allem abseits des Tätigkeitsfeldes "Haushaltshilfe". Ich durfte und darf mittlerweile unterstützen bei allem, was im weitesten Sinne mit dem normalen Wahnsinn des Alltags zu tun hat. Ob es Unterstützung bei der Findung neuer Räume für den letzten Lebensabschnitt ist, der Verkauf einer Immobilie, der wöchentlich Einkauf von Lebensmitteln und der "spontane" Kauf eines Autos, die Begleitung zu Ärzten und in Kliniken, Begleitung von Onlineaktivitäten, Familienfeiern und Begleitung zu weiter entfernt lebenden Kindern und Enkeln. Oder auch einfach nur "da sein" zum reden, zu diskutieren, zu beraten und um Gesellschaft zu leisten, Mittlerweile habe ich intensiven Einblick in die "Funktionsweise" von Krankenkassen, medizinischem Dienst, Finanzämtern und diversen Unternehmen (Schmuckhändler, Comic-Aufkäufer, Trödelhändler, Gärtner, Sanitätshäuser, etc.) rund um die Bedürfnisse meiner Senioren bekommen. Und bemerke, wenig überraschend, dass Freundlichkeit und verständnisvolles Auftreten immer wieder extrem hilfreich ist. Spannend, bisweilen anstrengend, aber kein Vergleich zu früher. Häufig steht am Ende "größerer" Aktionen ein ehrliches "Danke, ohne sie hätten wir/hätte ich das nicht geschafft." Befriedigender geht es nicht, an solchen Abenden sitze ich überaus zufrieden Abends im Wohnzimmer. Vielleicht müde, aber in dem Bewußtsein, etwas sinnvolles getan zu haben. Es gibt tatsächlich auch trauriges zu berichten. In der relativ kurzen Zeit sind zwei "meiner" mir wichtigen alten Menschen verstorben. In beiden Fällen haben es die Betroffenen zwar "richtig" gemacht, traurig war und bin ich dennoch. Der ältere Mann starb in der Pflege, letzten Endes war es wohl vorhersehbar. Seine Frau begleite ich bis heute, sie wird, wenn es sich ergibt, in eine Senioreneinrichtung umziehen. Leider relativ weit weg, die Zeit der intensiveren Betreuung wird dann enden und zum größten Teil in die Hände der Familie gehen. Aber das ist genau richtig und auch gut so. Die alte Dame hat es tatsächlich auch absolut richtig hinbekommen. Ich durfte sie fast eineinhalb Jahre begleiten. Anfänglich war es Unterstützung im Haus und Haushalt, dann sie Suche nach einer neuen Wohnmöglichkeit, altersgerecht und mit mehr sozialen Kontakt. Diese Unterkunft wurde gefunden, sie hatte sich für eine Appartementlösung in einer Seniorenresidenz entschieden. Es folgten der Verkauf des Hauses und der Umzug in ein kleines Zimmer mit den Lieblingsmöbeln (die erst durch den Umzug wieder zu Ehren kamen). Sie sagte mir einmal, dass die Schränke in den letzten dreißig Jahren nur "rumstanden" und auf eine Verwendung warteten. Sie war einfach großartig. Beim ersten Kontakt hatte sie die neunzig schon überschritten, kam gerade aus dem Krankenhaus. Sie konnte wundervolle und weniger schöne Geschichten erzählen. Ihr phänomenales Gedächtnis ging zurück bis zu ihrem Großvater und dessen Übersiedlung nach Deutschland. Die Familiengeschichte konnte sie perfekt erzählen, inklusive Eltern, Schwiegereltern, Onkel und Tanten bis zu den letzten verbliebenen Verwandten, den Nichten und Neffen. Gleiches galt für die Geschichte des Ortes, in dem sie lebte. Sie selber hatte keine Kinder, aber trotzdem (oder gerade deswegen?) eine sehr enge Beziehung zu den eben genannten Nichten und Neffen. In der Residenz fand sie dann auch schnell Anschluß, so, wie ich es ihr gewünscht hatte. Lernte ich sie mit dem Rollator als täglichem Begleiter kennen, kam sie mir irgendwann in der Residenz nur noch mit dem Gehstock entgegen. Auch der war irgendwann verzichtbar, zumindest im Haus. Auf meine Frage, warum sie diese Hilfen nicht mehr in dem Maß brauche, antwortete sie sinngemäß: "Wissen sie, ich bin meine Sorgen los. Ich muss mich um nichts kümmern, bin mein Haus und die damit verbundenen Verpflichtungen los, habe hier Freunde gefunden (pers. Anmerkung: Mit denen der ein oder andere Glühwein, die ein oder andere Tasse Kaffee und sicher auch mal ein Glas Wasser getrunken wurde). Sie helfen mir bei den Dingen, die immer mal wieder anliegen. Es geht mir einfach gut..." Ich könnte noch einige Erlebnisse schreiben, vielleicht hebe ich mich das für einen weiteren Beitrag auf. Wenige Tage vor Ihrem 93ten Geburtstag verstarb sie. Um zehn Uhr telefonierte sie noch mit Ihrer Nichte wegen eines Besuchs am folgenden Tag. Gegen Mittag fand man sie, friedlich eingeschlafen, in ihrem Fernsehsessel. Ihr Wunsch, ohne Schmerzen und womöglich jahrelanger Pflege zu sterben, wurde ihr erfüllt. Sie war eine für mich außergewöhnliche Frau, die ihr Leben lang gearbeitet hat, alle ihre Menschen versorgt und viele bis in den Tod begleitet hat. Vergessen werde ich sie nie! Erstaunlich ist für mich immer wieder die Vielfalt der Aufgaben, die Intensität bei der Begleitung und die doch sehr unterschiedlich ausgeprägten, wechselseitigen Sympathien, die ich im Alltag erlebe. Es geht von den "normalen" Begleitungen, die zum Teil rein auf die Aufgabe abgestellt sind, zum Teil aber schon in den persönlichen Bereich reichen, über freundschaftliche Kontakte und Beziehungen bis hin zu den Menschen, denen ich auf besondere Weise zugeneigt bin. Letztere sind meist die, die eine bemerkens- und erwähnenswerte Lebensleistung ihr eigen nennen und dabei überaus nahbar, dankbar und menschlich geblieben sind. Diese Menschen sind meist über 90 Jahre alt und gehen vereinzelt stramm auf die Dreistelligkeit zu. So viel als erster Bericht, ich merke, dass ich noch viel mehr schreiben könnte. Werde ich auch tun, ich hoffe, es wird bis zu den nächsten Worten nicht so viel Zeit vergehen, wie es jetzt der Fall war.